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von Mirax » Mo 27 Jan, 2003 6:54 pm
URTEIL
Gericht gibt Musikindustrie Zugang zu P2P-Userdaten
Amerikanische Serviceprovider, entschied gestern ein US-Bundesgericht, müssen künftig Daten ihrer Kunden an die Musikindustrie übergeben, wenn diese die Herausgabe verlangt. Die ISPs wollen in Berufung gehen: Diese Entscheidung, fürchten sie, könnte das Internet selbst beschädigen.
"US-Gericht vereinfacht Aufspüren von Internet-Piraten" tickerte am Mittwoch morgen krumm, aber brisant die Nachrichtenagentur AP. Bisher war selbst im Verständnis der Musikindustrie ein Copyright-Pirat der, der Musik unauthorisiert kopierte und mit Gewinninteresse weiter veräußerte. Wen die Agentur mit "Internet-Piraten" meint, ist hingegen jemand ganz anderes: In diese Kategorie würden in Deutschland wahrscheinlich rund sieben Millionen ganz normale Internet-Nutzer fallen, wenn nicht mehr.
Was sie zum "Piraten" qualifiziert, ist die Nutzung von P2P-Börsen. Über die lassen sich Musikstücke und Filme aus dem Internet herunterladen - und das sei der Hauptgrund, sagt die Industrie, für die dramatischen Umsatzrückgänge der letzten Jahre.
In Amerika bekämpfen Industrie-Lobbyverbände die P2P-Börsen seit langem mit härtesten Bandagen. Über rund zwei Jahre dauerte es, bis die Industrie Napster, den Prototypen der Börsen, niedergerungen hatte. Der Präzedenzfall machte die Dinge einfacher: Andere Börsen fielen erheblich schneller.
Am Dienstag kam es nun zu einem weiteren Präzedenzurteil: Ein US-Bundesgericht entschied in einem seit dem letzten Sommer schwelenden Streit zwischen der Musiklobby-Organisation RIAA und dem Internet-Serviceprovider Verizon, dass dieser auf Verlangen der Industrie personenbezogene Daten seiner Kunden herauszugeben habe. Der Zweck liegt auf der Hand: Die RIAA will diesen P2P-Tauschern ans Leder, weil sie gegen die Börsen selbst nicht ankommt.
Background: Ein Streit mit Vergangenheit
Im Frühsommer letzten Jahres begann die RIAA damit, Serviceprovider mit Abmahnungen einzudecken. Diese enthielten entweder die Aufforderung, Personendaten von fleißigen P2P-Nutzern herauszugeben, oder aber die, diesen Nutzern die Accounts zu streichen. Das Ultimatum hätte klarer kaum sein können: Entweder, der ISP sorgt dafür, dass der Kunde aus dem Web verschwindet, oder er wird verklagt.
Das wollte Verizon, einer der wirklich großen Serviceprovider der USA, nicht mitmachen: Schließlich, argumentierte das Unternehmen, habe der Kunde einen Vertrag mit Verizon, der unter anderem auch eine Datenschutz-Klausel enthielte.
Die RIAA klagte.
Ein generelles Interesse an einer Kriminalisierung von P2P-Nutzern, sagt die Industrie, habe sie dabei gar nicht: Immer geht es bei denen schließlich auch um potenzielle Kunden. Im Prozess gegen Verizon ging es um die Herausgabe der Daten eines "besonders aktiven Tauschers" bei KaZaA: der habe, sagt die RIAA, 666 Musikstücke zum Tausch freigegeben.
Ziel des Zorns: KaZaA ist die weltweit weitverbreitetste Börse mit wahrscheinlich weit über 200 Millionen Programmdownloads
Das klingt teuflisch ("Number of the beast"), zeichnet den noch anonymen Verizon-Kunden aber keineswegs als außerordentlich aktiven Anbieter aus: Wer in P2P-Börsen Stücke herunterlädt und diese im Eingangsordner der Tausch-Software belässt, wird automatisch selbst zum Anbieter. Das ist letztlich die Grundidee hinter dem Konzept P2P - man teilt. Da kommen sehr schnell ein paar Hundert Stücke zusammen. Stichproben bei KaZaA fördern binnen Minuten User zutage, die mehrere Hundert Dateien in den Tauschverzeichnissen bereit halten, manche horten dort 1000 und mehr.
Das Ganze ist eher ein Signal, das zeigt, wie die Industrie zähneknirschend akzeptiertes Verhalten von solchem scheiden will, das sie künftig strafrechtlich verfolgen wird: Wer nur "saugt", ist relativ sicher, wer anbietet, muss Konsequenzen fürchten. Genau an dieser Grenze schied sich bisher auch nach tradiertem deutschen Rechtsverständnis der weitgehend passive "Hörer" vom aktiven Urheberrechtsverletzer.
Berufung angekündigt: Das Urteil gefährdet die Entwicklung des Webs
Die amerikanischen Serviceprovider reagierten mit Protest und Schrecken auf das Urteil. Es könne doch nicht sein, sagte dazu Sarah Deutsch von Verizon, dass künftig jemand nur aufgrund einer behaupteten Rechtsverletzung Zugang zu Kundendaten bekommen solle, obwohl die doch durch Gesetze und richterliche Entscheidungen geschützt sein sollten.
Das Urteil von Bundesrichter John Bates lässt an der Antwort darauf keinen Zweifel: Die Herausgabe der Daten geschehe im Geiste des heiß umstrittenen Digital Millenium Copyright Act (DMCA). Der, so Bates, sei doch nur eine zahnlose Verordnung, wenn sich der der Urherberrechtsverletzung verdächtige hinter Datenschutzklauseln verstecken könnte. Bates: "Das würde Urheberrechtsverletzern im Internet Schutz vor den Rechtsmitteln des DMCA bieten und der kontinuierlichen Rechtsverletzung Gelegenheit zur Blüte geben".
Außer Frage, so Bates, stehe es auch, dass der erste Zusatz zur US-Verfassung, der Amerikanern Meinungsfreiheit garantiert, die Verletzung von Urheberrechten nicht sanktioniere.
Das alles sehen Bürgerrechtsverbände in den Vereinigten Staaten anders und sichern Verizon Unterstützung im bereits angekündigten Berufungsverfahren zu: Dieses Urteil öffne Tür und Tor für Missbrauch und die Belästigung von Internet-Usern, kommentierte die Washingtoner Anwältin Megan Gray, die unter anderem die Electronic Frontier Foundation (EFF) vertritt. Verizon sieht das ähnlich, nur schlimmer: Das Urteil, sagte Sarah Deutsch, gefährde die Entwicklung des Internet selbst.
Das ist allerdings nicht unwahrscheinlich
Das Internet entwickelte sich in Phasen und Schüben, angestoßen durch Meilensteine seiner technischen Entwicklung. E-Mail war eine frühe, die allein es aber nie über eine Zahl von wenigen zehntausend Nutzern anwachsen ließ. Die Entstehung der Usenet-Foren bewegte da schon mehr. Frühe Dienste, die das Durchsuchen des Netzwerkes erlauben (Gopher, Archie), bedeuteten einen weiteren Schritt - doch erst das Aufkommen des WWW machte das Internet massentauglich. Der Schritt vom Minderheiten- zum Massenmedium jedoch geschah erst in den letzten drei Jahren - und steht in ganz engem Zusammenhang mit P2P und dem Thema Musik.
Erst, als Brenner bezahlbar wurden und P2P als Quelle neuen Materiales populär wurde, erlebten breitbandige Internet-Zugänge den Beginn ihres Siegeszuges. Heute verkauft der Handel weit mehr CD-Rohlinge als Musik-CDs, und - das differiert von Anbieter zu Anbieter - 30 bis 60 Prozent des gesamten Internet-Datenverkehres entfällt auf P2P.
Musiktauschbörsen gelten heute als die "Killer-Applikation" des Webs, die einen großen Teil der heute nach neuesten Studien rund 33,5 Millionen Internet-affinen Deutschen ins Web lockte.
Das weiß man auch bei Verizon - und befürchtet, dass die Versuche der Industrie, P2P den Garaus zu machen, die Börsen zu einer "Killer-Applikation" in ganz anderem Sinne machen könnte. Fällt P2P weg, befürchten weltweit die Provider, dann braucht auch niemand mehr DSL, Satelliten-Connects, Internet-Access per Fernsehkabel und was es da auch immer noch so gibt: Das Internet könnte einen Zusammenbruch in der Nachfrage erleben.
Konsequenzen auch für Deutschland
Dafür, hatten die RIAA-Anwälte bereits vor Gericht argumentiert, gibt es ja die kommerziellen Börsen. RIAA-Präsident Cary Sherman fasste das nach dem Urteil so: "Der illegale Vertrieb von Musik über das Internet ist für Musiker, Songschreiber und andere Urheber eine äußerst ernste Angelegenheit. Die Musikfirmen haben sich darum intensiv bemüht, dieses Problem anzugehen, indem wir die Konsumenten darüber aufklärten und ihnen außerdem legale Alternativen anboten."
Künftig will man diese Aufklärung auch per Abmahnung und Klage forcieren, was - aus perspektive der Industrie - Sinn macht: Die Pyrrhus-Siege der Industrie gegen einzelne P2P-Börsen führten nur dazu, dass sich die jeweiligen Nachfolger der zugrunde geklagten P2P-Betreiber besser gegen die Instrumente der Industrie schützten. Offenbar hofft die RIAA, den P2P-Usern Angst vor der Nutzung der Börsen machen zu können, zumindest aber davor, dort etwas anzubieten: das würde die Börsen tatsächlich nach und nach vertrocknen lassen - auch in Deutschland, selbst wenn User hier vor einer Strafverfolgung noch sicher wären.
Denn auf Dauer wird auch das nicht so bleiben. Die Europäische Copyright-Verordnung, die dem Bundestag derzeit zur Beratung vorliegt, schafft in Sachen P2P klare Verhältnisse - und gäbe der Industrie damit auch hier zu Lande die Möglichkeit, bei Serviceprovidern auf die Herausgabe von Kundendaten zu drängen, wenn auch nur mittelbar über den Umweg einer Strafanzeige. Allein die Gefahr dürfte das Klima schon hinreichend vergiften und für eine Abnahme der Popularität der P2P-Börsen sorgen.
Eine Umsetzung der EU-Copyright-Verordnung in Deutschland wird bis zum Sommer erwartet.
Ob die User danach allerdings zu den kommerziellen Alternativen wechseln würden, bliebe abzuwarten. Denn so unpopulär wie beispielsweise die RIAA kann selbst eine P2P-Börse, die einem Tretminenfeld gleicht, kaum je werden. Das wird sich kaum bessern, denn letztlich hat die Industrie mittlerweile mit einer Vorgehensweise begonnen, vor der auch Brancheninsider seit Jahren warnten: Sie führt Krieg gegen die eigenen Kunden.
Ob das die Musik-Umsätze wieder heben wird, bezweifeln nicht nur P2P-Nutzer: Die schlagen als Mittel gegen den Umsatzrückgang gern Preissenkungen vor und weisen darauf hin, dass die Industrie vielleicht auch deshalb weniger verkauft, weil sie seit Jahren immer weniger produziere und dabei koninuierlich die Preise hebe.
Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte.
Quelle: Frank Patalong, spiegel.de
[center]"Bin eben nicht zum denken gekommen, sonst hätt ich das gleiche gedacht" ~
bloody hell 
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